Der Artikel „Kein Gemeindehandbuch“ erschien im Advent Review and Sabbath Herald, Vol. 60 No. 47, 27. November 1883. Übersetzt von Mattis Fichte. Die Überschriften entstammen nicht dem Original. PDF
Vorwort des Übersetzers
Nachdem sich im Jahr 1863 unsere Adventpioniere nicht zuletzt auch durch göttliche Führung dazu entschlossen, eine Religionsgemeinschaft zu gründen, wurden nach einigen Jahren Stimmen laut, die ein Gemeindehandbuch forderten, um noch bessere Ordnung und Einheit zu erreichen. Bei der Generalkonferenz 1882 in Rome, New York, wurden aufgrund dieser Bestrebungen die Männer Wolcott Littlejohn, John Corliss, und H. A. St. John dazu berufen, ein Gemeindehandbuch zu erstellen und es der Generalkonferenz im nächsten Jahr vorzulegen, um darüber abzustimmen. Zuvor sollte es einem Komitee von 13 Brüdern, darunter unter anderem der damalige Präsident der Generalkonferenz George Ide Butler, vorgelegt werden, das der Generalkonferenz eine Empfehlung aussprechen sollte, ob das Handbuch implementiert werden solle oder nicht.
Das Gemeindehandbuch wurde bereits im Vorfeld der Generalkonferenz im „Review and Herold“ veröffentlicht. Dieses Vorgehen kann auf zweierlei Weise gedeutet werden. Entweder wurde zur damaligen Zeit ganz selbstverständlich die Mündigkeit der Gemeindeglieder vorausgesetzt, indem man ihnen ein Gemeindehandbuch vorstellte, das noch gar nicht von der Gemeinde akzeptiert worden war. Oder man war sich aufgrund einer breiten Unterstützung in der Leiterschaft sicher, dass das abgearbeitete Gemeindehandbuch die Bewilligung der Generalkonferenz erhalten würde. Möglicherweise trugen auch beide Faktoren zur damaligen Dynamik, die dazu führte, die ausgearbeiteten autoritativen Texte vorab zu veröffentlichen.
Allerdings kam es auf der nächsten Generalkonferenz im November 1883 nicht zur Autorisierung der Gemeindehandbuchs. Aus einem Brief von Willie an seine Frau Mary White erfahren wir, dass Ellen White zum dem berufenen Komitee sprach – woraufhin dieses einstimmig dafür votierte, der Generalkonferenz zu empfehlen, das Gemeindehandbuch abzulehnen. Die Delegierten der Generalkonferenz folgten der Empfehlung und baten George I. Butler, die Gemeinde in einem Artikel im „Review and Herald“ über die Gründe für diesen Beschluss zu informieren. Es folgt eine Übersetzung eben jenes Artikels von G. I. Butler.
MF
Kein Gemeindehandbuch

Der Autor wurde von der letzten Generalkonferenz darum gebeten, ein kurzes Statement im Review zu verfassen hinsichtlich der eingeleiteten Schritte in Bezug auf das vorgeschlagene Gemeindehandbuch. In den vergangenen vier oder fünf Jahren gab es unter manchen unserer Brüder den Wunsch nach einer Art Gemeindehandbuch mit Anweisungen für junge Prediger, Beauftragte der Gemeinde, etc. Man meinte, dass dies zu Einheitlichkeit im ganzen Einsatzgebiet führen würde und Mittel zur Unterweisung bereitstellen würde für jene, die unerfahren sind und auf vielerlei Weise sehr vorteilhaft wäre. Es wurden vor einigen Jahren Schritte unternommen, um ein Gemeindehandbuch vorzubereiten, aber es blieb für einige Zeit unvollendet. Letztes Jahr kam die Angelegenheit auf der Rome-Konferenz auf und es wurden drei Brüder in ein Komitee berufen, das ein Gemeindehandbuch vorbereiten und es der diesjährigen Generalkonferenz zur Annahme oder Ablehnung vorlegen sollte. Während des vergangenen Sommers erschien das von ihnen vorbereitete Material im Review und wurde zweifellos von seinen Lesern gut aufgenommen.
Ablehnung des Antrags
Bei der letzten Konferenz wurde ein Komitee von 13 leitenden Brüdern berufen, um die ganze Angelegenheit zu untersuchen und Rückmeldung zu geben. Dies taten sie und rieten der Konferenz einstimmig, dass es nicht ratsam wäre, ein Gemeindehandbuch zu haben. Ihre Gründe wurden im Bericht von den Vorgängen bei der Konferenz, der in der letzten Woche im Review erschienen ist, angegeben. Dabei war es nicht ihre Absicht, in irgendeiner Weise despektierlich mit den würdigen Brüdern umzugehen, die sehr sorgfältig ihre Arbeit taten, als sie ein solches Werk ausarbeiteten. Sie legten ganz ausgezeichnetes Material vor und gaben viele wertvolle Anweisungen bezüglich Gemeindeordnungen, dem Abhalten von Gremiensitzungen und vielen anderen wichtigen Fragen und taten dies genauso gut, wie es ohne Frage auch viele Andere an ihrer Stelle getan hätten. Die Motive, die dem Entschluss der Konferenz zugrunde liegen, sind von prinzipieller Natur. Sie stehen im Zusammenhang mit der Frage, ob denn überhaupt irgendein Gemeindehandbuch wünschenswert sein kann.
Bibel einzige Autorität

Die Bibel enthält unser Glaubensbekenntnis und unsere Zuchtordnung. Sie rüstet den Menschen Gottes voll und ganz zu jedem guten Werk aus. Was sie hinsichtlich Gemeindeorganisation und Gemeindeverwaltung, hinsichtlich der Pflichten Verantwortlicher und Prediger und verwandter Themen nicht offenbart hat, sollte nicht streng definiert und in minuziöse Vorgaben gefasst werden der Einheitlichkeit wegen, sondern lieber der individuellen Beurteilung unter der Führung des Heiligen Geistes überlassen werden. Würde ein Buch mit solchen Anweisungen zum Besten dienen, wäre der Geist ohne Zweifel mehr ins Detail gegangen und hätte uns ein solches hinterlassen, das den Stempel der Inspiration trägt. Der Mensch kann diesen Gegenstand nicht gefahrlos ergänzen mit seiner schwachen Urteilskraft. Alle Versuche in der Vergangenheit dies zu tun erwiesen sich als bedauernswerte Misserfolge. Eine Änderung der Umstände erfordert eine Änderung der Maßnahme. Gott fordert von uns, dass wir wichtige Prinzipien untersuchen, die er in seinem Wort offenbart, aber die Details beim Ausführen dieser überlässt er der individuellen Beurteilung, für die er himmlische Weisheit in Zeiten der Not verspricht. Seine Prediger werden unentwegt in Situationen gebracht, in denen sie ihre Hilflosigkeit und ihr Bedürfnis, Gott um Licht zu bitten, spüren müssen, anstatt dass sie in irgendeinem Gemeindehandbuch spezifische Anweisungen suchen, die von anderen Menschen, die nicht inspiriert waren, dort platziert wurden. Genaue, spezifische Anweisungen neigen zu Schwachheit anstelle von Stärke. Sie führen zu Abhängigkeit anstelle von Eigenverantwortung. Es ist besser, einige Fehler zu machen und dabei ergiebige Lektionen zu lernen, als dass uns der ganze Weg von anderen abgesteckt wurde und die Beurteilung nur wenig Spielraum für Erwägungen und Schlussfolgerungen hat.
Mündigkeit der Prediger
Auch wenn Brüder, die ein Gemeindehandbuch befürworten, stets argumentierten, dass ein solches Werk nichts wie ein Glaubensbekenntnis oder eine Zuchtordnung oder dergleichen sein sollte und auch nicht die Autorität tragen sollte, strittige Punkte zu entscheiden, sondern nur als ein Buch angesehen werden sollte, das Ratschläge für Unerfahrene beinhaltet, so muss doch offensichtlich sein, dass ein solches Werk, das unter der Schirmherrschaft der Generalkonferenz veröffentlicht werden würde, umgehend viel Gewicht an Autorität mit sich führen würde und von den Meisten unserer jüngeren Prediger herangezogen werden würde. Es würde schrittweise die ganze Körperschaft formen und gestalten und diejenigen, die ihm nicht folgen würden, würden als solche angesehen werden, die sich außerhalb der etablierten Prinzipien der Gemeindeordnung bewegen. Und ist dies nicht auch in Wirklichkeit der Zweck des Gemeindehandbuchs? Und was wäre der Nutzen eines Handbuchs, wenn es nicht ein solches Ergebnis erzielen sollte? Wären unsere Prediger mutigere, ursprünglichere, selbstständigere Männer? Könnte man sich auf sie besser verlassen in großen Notfällen? Wären ihre geistlichen Erfahrungen voraussichtlich tiefer und ihr Urteil verlässlicher? Wir denken, die Tendenz geht in die gegenteilige Richtung.
Lehren aus der Reformation
Die religiöse Bewegung, in der wir uns betätigen, muss den gleichen Einflüssen begegnen, die jede echte Reformation bewältigen musste. Nachdem eine bestimmte Größenordnung erreicht wurde, haben sie eine Notwendigkeit für Einheitlichkeit gesehen und um diese zu erreichen, versuchten sie Anweisungen vorzubereiten, die die Unerfahrenen leiten sollten. Diese wuchsen an Zahl und Autorität bis, unter der Akzeptanz aller, sie tatsächlich verbindlich wurden. Wenn man einmal auf diese Straße eingebogen ist, scheint es keine logische Ausfahrt zu geben, bis dieses Ergebnis erreicht ist. Ihre Geschichte liegt uns vor und wir wünschen nicht, ihr zu folgen. Daher stellen wir das Gemeindehandbuch ein, bevor wir überhaupt erst damit anfangen. Wir nehmen an, dass unsere Brüder, die ein solches Werk befürworten, niemals eine solche Schlussfolgerung voraussahen, wie wir sie angedeutet haben. Sehr wahrscheinlich haben diejenigen aus den anderen Denominationen dies zu Beginn nicht vorhergesehen. Die Konferenz hielt es für am besten, nicht einmal den Anschein einer solchen Sache zu geben.
Einheit ohne Gemeindehandbuch
Soweit sind wir gut zurande gekommen mit unserer einfachen Organisation ohne Gemeindehandbuch. In der ganzen Gemeinde herrscht Einheit. Die vor uns liegenden Schwierigkeiten sind, soweit sie Organisation betreffen, viel geringer als jene, die wir in der Vergangenheit hatten. Wir haben Einfachheit bewahrt und sind dabei gediehen. Es ist am besten, es so zu belassen, wie es ist. Aus diesen und weiteren Gründen wurde das Gemeindehandbuch abgelehnt. Es ist wahrscheinlich, dass es nie wieder vorgebracht werden wird.