Folgendes Interview erschien als Artikel in der 1. Ausgabe des Jahres 2021 in der PIN-Wand. Es wurde auch ein Interview geführt, dass als Video aufgenommen wurde und hier angesehen werden kann.
Hinweis: Alexander Schwarz betreibt einen russischen Youtubekanal, der hier aufgerufen werden kann.
Interview mit Alexander Schwarz
Alexander Schwarz kann auf eine lange Geschichte in der Adventgemeinde zurückblicken. Er wuchs in einem adventistischen Elternhaus deutscher Aussiedler in Kasachstan auf und wurde in den 1970er Jahren unter Repressalien des Sowjet-Regimes zum Prediger ausgebildet. Es folgenden fruchtbare Jahre im Predigeramt. Von 1994 bis 2002 diente er den Gemeinden in Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan als Vereinigungspräsident. Nach seinem Master-Studium an der Andrews-Universität in den USA kam er nach Tiflis, wo er von 2008 bis 2015 als Vorsteher des Transkaukasus-Verbands (Aserbaidschan, Armenien, Georgien) tätig war. Als Vereinigungspräsident bzw. Verbandsvorsteher wurde er auch zu den jährlichen Sitzungen des Exekutivausschusses der Generalkonferenz sowie deren alle fünf Jahre stattfindenden Vollversammlungen delegiert. 2020 erregte er in der Gemeinde einiges Aufsehen, als er seine Skepsis bezüglich der Lehre der Dreieinigkeit auf Youtube über seinen russischen Kanal Медиа Студия “Так написано” und auch auf dem deutschen Kanal Salz der Erde öffentlich machte.
Wie kam es dazu, dass du dich entschieden hast, Prediger zu werden?
Als ich ungefähr 14 Jahre alt war gab es einen Prediger, der oft unsere Familie im Dorf besuchte und mich sehr beeindruckte. In meiner kindlichen Art begann ich, ihm nachzueifern. Ich bereitete sogar kleine Predigten vor. Als ich erwachsen wurde, hatten wir zu dieser Zeit schon einen anderen Pastor, welcher mal zu meiner Mutter sagte: „Alexander wird ein Pastor“. Aber ehrlich gesagt habe ich mir zu diesem Zeitpunkt keine ernsthaften Gedanken über einen möglichen Dienst als Pastor gemacht. Mit 19 Jahren hatte ich einen schweren Unfall, bei dem mein Freund ums Leben kam. Ich überlebte auf wundersame Weise.
Nach sechs Monaten Krankenhausaufenthalt wurde ich endlich entlassen und heiratete kurz drauf mit gerade einmal 20 Jahren. Gleich danach erhielt ich das Angebot, mit meiner Frau von Kasachstan nach Russland zu ziehen und mich zu einem Pastor ausbilden zu lassen in einer Pastorenschule im Untergrund. Wir stimmten zu und begannen im Januar 1978 unseren Dienst. Heute können wir rückblickend sagen, dass dies die Vorsehung Gottes war. Wir sind oft umgezogen und haben in verschiedenen Gemeinden gedient. So haben wir Erfahrungen gesammelt und sind geistig gereift. Und ehrlich gesagt sehe ich mich nach wie vor in aktivem pastoralen Dienst, wenn auch in einer anderen Situation und mit anderen Möglichkeiten. Ich sage es heute in aller Demut: Wer einmal von Gott zum Dienst berufen wurde, wird niemals zu einem ,ehemaligen Pastor´, es ist eine Lebensaufgabe.
Du hast deine Predigerausbildung in der ehem. Sowjetunion gemacht, als Christen diskriminiert und verfolgt wurden. Wie hast du diese Zeit in Erinnerung?

Ein paar Worte zu meiner Ausbildung. Ich habe die Pastorenkurse in der Stadt Swerdlowsk (heute Jekaterinburg) im Untergrund absolviert und später dann die Theologische Akademie in Zaoksky mit einem Bachelor-Abschluss in praktischer Theologie abgeschlossen. Anschließend habe ich an der Andrews University studiert und mit einem Master-Abschluss verlassen. Ich wurde in Kasachstan in der ehemaligen Sowjetunion geboren, wo Religion nicht nur offiziell nicht begrüßt, sondern auf jede mögliche Weise verfolgt und zerstört wurde.
Meine Vorgänger haben schwere Zeiten der Unterdrückung und der Inhaftierung durchgemacht. Zu meiner Zeit war es nicht mehr so extrem, aber das ist natürlich eine relative Aussage. Androhungen des Entzugs der Elternrechte und der Inhaftierung gab es bis zur Zeit der Perestroika, das heißt bis ins Jahr 1985. Von dieser Zeit an begann sich die Haltung der Regierung gegenüber der Religion langsam zu verändern. Trotz allem: Es waren sehr gute und gesegnete Zeiten. Einheit und Solidarität herrschten in unseren Gemeinden. Die Pastoren waren ihrer Berufung treu und ergeben. Die Mitglieder der Gemeinde stärkten den Rücken ihrer Pastoren. Mit großer Liebe denke ich an meine Mentoren. Ihre persönliche Hingabe an Gott und ihr Dienst für die Menschen war ein gutes Beispiel für uns junge Pastoren.
Wenn du das Gemeindeleben heute hier in Deutschland mit dem damals in der Sowjetunion vergleichst, welche Unterschiede fallen dir dann auf?

Die deutsche Gemeinde hat ja vermutlich auch ihre schwierigen Zeiten durchleben dürfen vor einigen Jahrzehnten… Diejenigen, die diese Zeit überlebt haben, können mit Sicherheit bezeugen, dass die Schwierigkeiten in Form von Unterdrückung und Entzug der Versammlungsrechte auch große positive Effekte für die Gemeinde bedeuteten. Durch das Leid rückt man in der Regel freundschaftlicher zusammen, ist einander verbunden, mehr vereint und geistlicher gesinnt. Leider, ist es auch so, dass große Freiheiten zwar große Chancen bieten, aber auch mit vielen Versuchungen behaftet sind. Die Wachsamkeit nimmt ab, die Schärfe der ersten Liebe geht verloren und stattdessen kommt der Geist der Kritik und es treten Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten auf. Passivität tritt an die Stelle eines aktiven Zeugnisses für unseren Herrn und Erlöser.
Als ich in Deutschland ankam, war der Kontrast zu offensichtlich. Viele Neuankömmlinge aus ehemaligen sozialistischen Ländern konnten sich sehr lange nicht in das Leben der Gemeinde integrieren. Problembereich war nicht nur die Sprache, sondern auch Differenzen auf der Beziehungsebene in der Gemeinde, unterschiedliche kulturelle Auffassungen, sowie ein unterschiedliches Maß an geistlicher Gesinnung. Die Gemeinde hier in Europa hat in vielen Dingen eine sehr liberale Sichtweise, welche wir, gemäß unserem Verständnisse der Bibel, als eine große Gefahr für die Gemeinde einschätzten. Es wäre dennoch völlig unfair zu sagen, dass die Gemeinde in der ehemaligen UdSSR auf der Höhe der Vollkommenheit war und in der deutschen Gemeinde alles nur schlecht war. Auf keinen Fall! Wir haben nicht nur Positivität, Eifer und geistliche Gesinnung mitgebracht, sondern in einer Reihe von Fragen wurden unsere Gemeinden in einem äußerst fanatischen Geist erzogen – auch das wurde nach Deutschland mitgebracht. Ich möchte glauben, dass wir im Laufe der Jahre Vieles voneinander lernen und das Beste gegenseitig annehmen konnten.